Die Orangerie in Wrisbergholzen
Seit der Renaissance gehörten Kübelpflanzen zur obligatorischen Ausstattung jedes herrschaftlichen Gartens. Voraussetzung waren geeignete Überwinterungsmöglichkeiten für die teilweise sehr empfindlichen Gewächse. Oft wurde versucht, bestehende Gebäude entsprechend umzurüsten. In den Fällen aber, in denen genügend Kapital und Gelände zur Verfügung stand, wurden spezielle Bauten für diese Zwecke errichtet. Die zahlreichen Orangerien und sonstigen Überwinterungshäuser bildeten seit dem 16. Jahrhundert eine eigene Baugattung. Häufig wurden gleichzeitig verschiedene Glas- und Gewächshäuser erbaut, die meist der Anzucht von Pflanzen dienten. Im 20. Jahrhundert wurden in fast allen Privatgärten die kostspieligen und pflegeintensiven Bestände aufgegeben oder so weit reduziert, dass sie nicht mehr in eigenen Gebäuden untergebracht werden mussten. Infolge dessen verloren die Orangerien ihre Funktion. Da sie meist – bedingt durch ihre besondere, ganz auf ihre Aufgabe ausgerichtete Konstruktion – nur schwer umgenutzt oder umgebaut werden konnten, wurden viele abgerissen.
Ob es in Wrisbergholzen bereits zur Renaissancezeit Kübelpflanzen gab, die zur Überwinterung spezielle Räumlichkeiten benötigten, ist nicht bekannt. Spätestens mit dem Neubau des Schlosses 1745 wird den Bauherrn Johann Rudolf von Wrisberg der Gedanke gekommen sein, dessen Umgebung im Sommer durch Kübelpflanzen zu beleben und aufzuschmücken. Genaue Untersuchungen zum tatsächlichen Pflanzenbestand in dieser Zeit fehlen allerdings bisher noch. Ebenso ist nicht bekannt, ob es bereits im 18. Jahrhundert Überwinterungsmöglichkeiten oder sogar ein eigenes Gebäude für diesen Zweck gab.
Den ersten Hinweis auf die Errichtung eines Überwinterungshauses liefert ein Fundamentstein, der nach 1945 für den Bau eines kleinen Gewächshauses verwendet wurde. Er trägt die Jahreszahl 1840 und die Initialen L. v. G. W. des damaligen Besitzers Louis von Goertz-Wrisberg. Vermutlich gehörte der Stein zu dem ersten Wrisbergholzer Gewächshaus, dessen Standort und Größe erst durch einen Plan von 1859 überliefert ist. Es handelte sich dabei um ein längsrechteckiges Gebäude, das nördlich des Schlosses lag. Es war ein relativ niedriges Gebäude mit einem Satteldach, dessen hintere Hälfte leicht erhöht war und die vordere Wand und die vordere Hälfte des Daches verglast waren, ein für viele Gewächshäuser des 18. und frühen 19. Jahrhunderts typischer Aufriss. Von diesem Gebäude, das in Teilen noch nach dem 2. Weltkrieg vorhanden war, waren neben den bereits erwähnten Fundamentsteinen noch einige Eisenprofile der Dachkonstruktion erhalten geblieben. Sie wurden nach Abbruch des kleinen Glashauses wieder an die alte Stelle zurück versetzt bzw. eingelagert.
Es ist unklar, ob die heutige Orangerie mit dem im Plan von 1859 dargestellten Gebäude identisch ist, da Dachform und Größe nicht übereinstimmen. Möglicherweise ist das heutige Gebäude nur ein Relikt des ursprünglichen Baus. Es könnte auch zunächst nur ein Glashaus errichtet worden sein, dessen Mittelteil später durch den Massivbau ersetzt wurde, der heute noch erhalten ist. Während das erste Gewächshaus wohl von Graf Louis errichtet worden ist, könnte Graf Werner d. Ä. den Umbau veranlasst haben.
Denkbar ist aber auch, dass 1840 das gesamte Gebäude, Orangereie (Mittelbau) mit zwei seitlichen Glashäusern, bereits in dieser Form gebaut wurde. Graf Louis war zu der Zeit Kammerherr am bayrischen Hof in München und könnte von dort den den „modernen“ Rundbogenstil, der die Architektur des Gebäudes kennzeichnet, mit nach Wrisbergholzen gebracht haben. Dieser Stil hat sich in Norddeutschland, z.B. in Hannover, erst in den 1850/60er jahren verbreitet. In diesem Falle wäre der Bau in Wrisbergholzen auch architektonisch von besonderem Interesse. Leider gibt es derzeit keine konkreten Informationen aus den Quellen des Gutsarchives.
Der neue Mittelbau hatte nicht nur völlig andere Dimensionen, sondern erfüllte neben der Aufbewahrung von empfindlichen Pflanzen auch noch andere Funktionen. Beispielsweise wurde er im Sommer, wenn die Pflanzen im Freien standen, als festlicher Speisesaal genutzt. Über die Ausstattung ist bisher jedoch ebenso wenig bekannt wie über die kultivierten Gewächse. Die rechts und links des Neubaus verbliebenen Reste des alten Gewächshauses wurden weiterhin zur Zucht und Überwinterung genutzt. Bemerkenswert ist ein altes Relief, das als Spolie zur Verzierung in den Giebel des Neubaus eingelassen wurde. Es trägt das Wappen der Familie von Wrisberg und den Namen „Rudolph Johann von Wrisberg“.
Nach dem Ende des ersten Weltkriegs wurde der Pflanzenbestand aufgegeben, die Orangerie verlor ihre eigentliche Funktion. Wie das Gebäude dann genutzt wurde, ist nicht bekannt.
Nach 1945 wurden die erhaltenen Teile des alten Gewächshauses abgebrochen, so dass heute nur noch der jüngere Teil des Gebäudes vorhanden ist.
Kurzzeitig wurde versucht, auf dem Gelände wieder eine Gärtnerei einzurichten. Dazu wurde mit dem brauchbaren Material des abgerissenen Gewächshauses ein kleines Glashaus erbaut, außerdem noch ein weiteres Gewächshaus und zahlreiche Frühbeetkästen. Sie alle sind nach der Aufgabe der Gärtnerei verfallen.
Auch der Massivbau der Orangerie war bis zum Beginn der Sanierung 2003/04 infolge der fehlenden Bauunterhaltung erheblich beschädigt.
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Kunsthistorische Bedeutung
Angesichts der großen Verluste, die die Baugattung der Orangerien insgesamt hat hinnehmen müssen, sind die verbliebenen Gebäude von besonderem Wert. Auch die Tatsache, dass viele Orangeriebestände nicht in eigenen Häusern, sondern in bestehenden Gebäuden untergebracht wurden, die dafür entsprechend hergerichtet wurden, unterstreicht die Bedeutung der eigens dafür errichteten Gebäude. Im Landkreis Hildesheim besitzen nur die Schlösser Söder und Derneburg vergleichbare Orangerien. Von diesen unterschiedet sich das Wrisbergholzer Bauwerk jedoch deutlich durch die massive Bauweise (im Gegensatz zum Derneburger Glashaus) bzw. durch die historistischen Bauformen (Söder besitzt ein Gebäude des 20. Jahrhunderts). In Niedersachsen ist keine weitere Orangerie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt, die deutlich die Stilmerkmale dieser Zeit trägt.
Die Orangerie ist ein wichtiger Teil des denkmalgeschützten Ensembles des Wrisbergholzer Schlosses, das als Denkmal von nationaler Bedeutung eingeschätzt wird. Sie repräsentiert innerhalb des Ensembles, das eine über 500jährige Baugeschichte aufweist, das 19. Jahrhundert bzw. die Epoche des Historismus. Sie ist Zeugin der gärtnerischen Blütezeit des Guts und gleichzeitig der Hinwendung des gesellschaftlichen Lebens der Bewohner zum Außenraum bzw. zum Park. Sie zeigt, dass neben Repräsentation und Landwirtschaft die Kunst der Orangeriekultur eine große Rolle für Wrisbergholzen gespielt hat, die sich durch die Aufschmückung der Schlossumgebung mit Kübelpflanzen deutlich im Erscheinungsbild der Anlage manifestiert hat.
Zustand, Maßnahmen und heutige Nutzung
Der bauliche Zustand der Orangerie war gegen Ende des 20. Jahrhunderts so schlecht, dass der Fortbestand des Gebäudes akut gefährdet war. Vermutlich wurden seit 1945 keinerlei Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Dementsprechend groß waren die Schäden. Die undichte Dachhaut war die Ursache für Feuchtigkeitsschäden, die die Substanz des Dachstuhls bereits im Kern angegriffen und teilweise zerstört hatten. Die Tragfähigkeit einzelner Balken war beeinträchtigt, eine Ecke durch Hausschwamm angegriffen. Die Decke war teilweise herunter gebrochen, die Köpfe einiger Deckenbalken durchgefault. Der Einsturz des Dachs wäre bei weiter unterlassener Reparatur die Folge gewesen.
Der Verein bemühte sich daher, die für die Sanierung benötigte Finanzierung durch Zuschüsse und einen Eigenanteil sicher zu stellen und durch ein Nutzungskonzept den langfristigen Erhalt des Gebäudes zu gewährleisten. Zur Behebung der Schäden wurden zwei Bauabschnitte geplant:
Der erste Bauabschnitt konnte im Jahr 2004 abgeschlossen werden. Er diente der Bewahrung der Bausubstanz vor dem drohenden Verfall: Zunächst wurden die alten Dachziegeln abgenommen, der Dachstuhl und die Rinnen repariert und das Gebäude neu gedeckt. Parallel dazu erfolgten die Bekämpfung des Hausschwamms sowie die Ausbesserung des Mauerwerks im Bereich der Dachzone.
In einer zweiten Bauphase, die dank der Unterstützung der unten aufgeführten Sponsoren neun Jahre später begonnen und 2016 weitgehend abgeschlossen werden konnte, wurden in mehreren Bauabschnitten die Schäden des Innen- und des Außenputzes ausgebessert, die Fassade neu gestrichen, Türen und Fenster repariert und ein neuer Fußboden eingebaut. Zudem wurden eine kleine Küche und sanitäre Einrichtungen im Nebenraum der Orangerie erstellt, die Grundmauern der ehemals angrenzenden Gewächshäuser wieder hergestellt und die vom Einsturz bedrohte Mauer zur Straße saniert.
Weitere Bauabschnitte sind noch in Planung.
Die heutige Nutzung des Gebäudes unterscheidet sich von seiner ursprünglichen Bestimmung. Die erneute Anzucht und Kultivierung seltener Gewächse ist auf absehbare Zeit leider nicht möglich. Der Verein zur Erhaltung von Baudenkmalen bietet jedoch die Möglichkeit, die Orangerie als multifunktionalen Raum zu nutzen. Da in der ehemaligen Fayence-Manufaktur zu wenig Platz für bestimmte Veranstaltungen ist, die der Verein gern durchführen würde, ermöglicht die Nutzung der Orangerie die Ausweitung der Vereinsaktivitäten.
Geplant sind Vorträge zu Themen der Denkmalpflege und zur Geschichte der Schlossanlage; hinzu kommen andere Aktionen, beispielsweise die Herstellung von Keramiken durch Kunsthandwerker im Rahmen des Denkmaltages. Auch Künstlern der Region könnte der Raum zur Nutzung überlassen werden. Weiterhin können nach Möglichkeit kleine Konzerte oder verschiedene Feiern in der Orangerie stattfinden.
Weitere Informationen: siehe unter Verein/Angebote.
Hier einige kleine Eindrücke vom Zustand der Orangerie Anfang des Jahrtausends und den verschiedenen Baumaßnahmen 2003/2004 und 2013/2014: