Verein zur Erhaltung von
Baudenkmalen in Wrisbergholzen

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Der Fliesensaal im Schloss

Das Schloss der Freiherren von Wrisbergholzen besitzt seit 1749 im linken Seitenflügel einen Saal, der mit ca. 80O Fliesen ausgestattet ist. Davon sind 68O sog. Emblemfliesen, wobei jeder Fliese im Format 23×27,5 cm jeweils eine Buchseite entspricht. Ausgehend von den Forschungsergebnissen von Martin Boyken und Horst Appuhn konnten die literarischen Vorlagen der Emblemfliesen nachgewiesen werden. Es sind vier Emblembücher von drei Autoren. Zunächst fast vollzählig die „Empresas politicas“ des spanischen Diplomaten Diego Saavedra Fajardo (1584 – 1648> , dann die Embleme des Nürnberger Arztes Joachim Camerarius d.J. (1534-1598) und schließlich zwei Werke des niederländischen Künstlers und Lehrers von P.P. Rubens, nämlich Otto van Veen (1556 – 1629> „Amorum emblemata“ und „Emblemata Horatiana“, ein neostoizistisches Buch.

Emblemfliese aus dem Fliesenzimmer im Schloss
Fliese Les jouets de la Mors - Die Spielzeuge des Todes

Da in Wrisbergholzen Dokumente über den Auftraggeber, das Bildprogramm und das Anbringen der Fliesen fehlen, muss die Entstehungsgeschichte rekonstruiert werden. Die Emblemfliesen sind Unikate, für den Saal im Schloss bestimmt. Der Saal diente nicht als Verhandlungsraum mit möglichen Kunden der Manufaktur; die Fliesen sind auch nicht als Schmuck aus übriggebliebenen Produkten anzusehen, sondern der Saal diente als (sommerlicher) Speisesaal für die freiherrliche, nach 1803 dann gräfliche Familie als eine „emblematische Gemüths-Vergnügung“. Ideengeschichtlich kommt darin das Lebensgefühl einer kleinadeligen Familie mitten in der Aufklärungszeit zum Ausdruck. 

Besonderes Interesse erweckt ein Zyklus von zwölf Monatsfliesen, für den es keine unmittelbare literarische Vorlage gibt. Er dürfte als eine emblematische Erfindung im Schloss selbst entworfen und in der Manufaktur entstanden sein.

Im Laufe der Jahre wurde der Saal verschiedentlich baulich verändert. Dabei wurden einzelne Emblemfliesen vor allem an einer Schrankwand und der Kaminecke z.T. zerstört, z.T. an anderen Stellen neu angebracht. Inwieweit dadurch massiv in ein nur noch im Umriss erkennbares Bildprogramm eingegriffen wurde, kann nur vermutet werden. Dennoch darf der Fliesensaal von Wrisbergholzen als ein einzigartiges Beispiel der sog. angewandten, der außerliterarischen Emblematik nicht nur in Norddeutschland angesehen werden.

Die im Fliesenzimmer ungleichmäßig verteilt angebrachten 12 Monatsfliesen (zum Vergrößern anklicken):

Fotos: Wolfgang Neß, Jörg Dietze

Literatur:
Johannes B. Köhler, Angewandte Emblematik im Fliesensaal von Wrisbergholzen bei Hildesheim, A. Lax Verlag Hildesheim 1988 (ISBN 3-7848.3757-3);

—, Die emblematischen Monatsfliesen in Wrisbergholzen, in: Gerhard F. Strasser / Mara Wade (Hrsg.): Die Domänen des Emblems. Außerliterarische Anwendungen von Emblematik, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 39), Wiesbaden 2004, S. 15-27.

—, Joachim Camerarius, Embleme III, 16-42, im Fliesensaal von Wrisbergholzen, in: Johannes Köhler / Wolfgang Christian Schneider (Hrsg.): Das Emblem im Widerspiel von Intermedialität und Synmedialität. Symposium an der Universität Hildesheim (30. April – 1. Mai 2004) (= Philosophische Texte und Studien 89) Hildesheim 2007, S.227-249.

—, Neues aus Wrisbergholzen? Korrekturen, Einsichten, Vorschläge, in: Ingrid Höpel (Hg), Architektur als Ort für Embleme. Beiträge zu einer Tagung des Kunsthistorischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am 23. Januar 2023, Kiel 2014, S. 58-66.

Martin Boyken, Die Spruchfliesen von Wrisbergholzen, Zeitschrift des Museums zu Hildesheim, Heft 19, 1966; Verlag Gebr. Gerstenberg, Hildesheim.

Links:
Sehr umfangreiche Informationssammlung vom Fliesenforscher Wilhelm Joliet nicht nur zu Fayence-Fliesen: www.geschichte-der-fliese.de

Dort gibt es jetzt auch eine detaillierte Seite zum Fliesensaal Wrisbergholzen mit diversen Fotos vom Saal, Fliesengruppen und einzelnen Fliesen sowie vielen weiterführenden Informationen.

Anmerkung:
Dr. Johannes B. Köhler, Autor des obigen Artikels, ist Mitglied unseres Vereins und erläutert – im Wechsel mit weiteren fachkundigen Vereinsmitgliedern – den Fliesensaal bei den auf unserer Homepage genannten öffentlichen Besichtigungsterminen.